STATION 7: Firma Louis Fürstenheim - Die Papierfabrik der Familie Scooler in Porschendorf

Werner und Walter Scooler stellten Jüdinnen und Juden ein, die wegen der antisemitischen Politik ihre Arbeit verloren hatten.

Die Fabrik der Familie Scooler produzierte graue Pappen, insbesondere Buchbinder-, Kartonagen-, Koffer- und Presspappen. Es wurden dort aber auch Album-, Präge- und Hochglanzpappen hergestellt. 1927/28 wurde eine Seilbahn mit Bahnanschluss gebaut, so dass die Waggons mit dem Altpapier direkt in die Fabrik befördert werden konnten. Die Produkte wurden auf eigenen Lastwagen nach Dresden gebracht und zum Beispiel an eine Kalbslederfabrik verkauft, aber auch nach London.

Altes Foto der Papierfabrik in Porschendorf
Papierfabrik Porschendorf

Nachdem Werner Scooler 1928 die operative Leitung übernommen hatte, wurde die Produktion ausgeweitet, worauf die Zunahme derBeschäftigtenzahl hindeutet. So waren 1914 in der Fabrik 113 Mitarbeiter*innen beschäftigt und bis 1937 stieg die Zahl auf 126 Mitarbeiter*innen an.

Mit der Machtübernahme der NationalsozialistInnen 1933 änderte sich auch die Situation der jüdischen  Fabrikantenfamilie Scooler. Der Boykott jüdischer Geschäfte vom 1. April 1933 dürfte zwar aufgrund der Lage und Art der Papierfabrik noch nahezu spurlos an der Familie vorbeigegangen sein, aber die beiden Brüder erkundigten sich nicht grundlos nach Möglichkeiten der Auswanderung.

Werner und Walter Scooler nutzten ihre Position, um andere Juden und Jüdinnen zu unterstützen. Einige Juden, die aufgrund der antisemitischen Politik der NationalsozialistInnen ihre Arbeit verloren hatten, fanden eine neue Anstellung in der Papierfabrik. Unter ihnen waren Ernst Noack aus Pirna-Copitz und Fritz Goldstein aus Heidenau.

Bereits im Mai 1938 wurde die Situation für die Familie zunehmend schwieriger. Die Zollfahndungsstelle erließ die Sicherung des Vermögens von Werner und Walter Scooler (umgerechnet mehre Millionen Euro). Einen Monat später nahm das Finanzamt Pirna das Vermögen in sogenannte Sicherungsverwahrung. Nach langen aufgezwungenen und unfairen Verhandlungen wurde die Firma weit unter Wert an Friedrich Carl Rung verkauft. Damit war die Enteignung der Firma abgeschlossen.

Bevor die Familie nach Dresden ging, lud Rose Scooler die Mitabeiterinnen aus dem Büro noch einmal in die Villa ein, um sich ein Andenken auszusuchen. Während die jüdische Familie in der Folge um ihre Zukunft und ihr Leben bangte, setzte der neue Besitzer der Papierfabrik Zwangsarbeiter*innen in der Porschendorfer Firma ein. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Papierfabrik in Porschendorf beschlagnahmt. Die Gemeinde und der Landkreis Pirna wurden neue Gesellschafter. Friedrich Carl Rung hatte sich bereits vor Kriegsende abgesetzt.1

Quelle:
1 Hugo Jensch: Familie Scooler, Porschendorf.

Enteignung

Ein zentrales Ziel der NationalsozialistInnen war es, dass Jüdinnen*Juden in Deutschland und in den von Deutschland besetzten Gebieten aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft verdrängt werden sollten. Ein Mittel zum Ausschluss der Jüdinnen*Juden aus Handel, Gewerbe, Wohnraum, Kultur und Wissen schaft war die Enteignung. Ab 1933 wurden diskriminierende Gesetze und Verordnungen erlassen, um die Maßnahmen zur Ausgrenzung und Ausplünderung von Jüdinnen*Juden in Deutschland juristisch zu untermauern – von den NationalsozialistInnen sehr beschönigend als »Arisierung« bezeichnet.

Enteignung bedeutete, dass Jüdinnen*Juden gezwungen waren, ihren Besitz aufzugeben. Dabei vari-ierten die Formen: Möglich waren Beschlagnahmung, Nötigung und Zwangsverkauf sowie »frei-williger« Verkauf weit unter dem eigentlichen Wert.

Bis 1938 waren etwa 60 Prozent aller jüdischen klein- und mittelständischen Unternehmen enteignet. Betroffen waren nicht nur kleine Geschäfte und Warenhäuser, sondern auch Arzt- und Anwaltspraxen sowie Werkstätten. Wertgegenstände wie Schmuck, Antiquitäten, Aktien, Immobilien mussten Jüdin-nen*Juden ebenso weit unter dem Marktwert verkaufen bzw. wurden beschlagnahmt. Ab 1938 waren auch Großunternehmen und Kreditinstitute betroffen. Die »Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben« vom 12. November 1938 – also drei Tage nach dem November-pogrom – festigten diese Maßnahmen.

Ab 1939 wurden die Betriebe aller jüdischen Eigentümer*­innen zwangsgeschlossen und Jüdinnen*Ju-den durften nahezu keinen Beruf mehr ausüben. Sie verloren alle Ansprüche auf Renten, Pensionen und Versicherungen.

Die Verkaufserlöse und das wegen Auswanderung zurückgelassene Vermögen der Jüdinnen*Juden bekam die Reichsfinanzverwaltung und damit das deutsche Reich. 1938/39 stammten mindestens neun Prozent der Einnahmen des Deutschen Reiches aus diesen Erlösen.

Der deutsche Staat profitierte aber nicht allein von der wirtschaftlichen Existenzvernichtung der Jü-dinnen*Juden. Viele Geschäftsleute, Händler*innen, Selbstständige, Ärzt*­innen und Anwälte freuten sich über den Ausschluss der jüdischen Konkurrenz.

Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde die Praxis der Enteignung in allen besetzten Ländern fort-geführt. Wohnungen von deportierten Jüdinnen*Juden wurden leer geräumt und Möbel, Kleidung und Hausrat wurden nach Deutschland transportiert und entweder versteigert oder von den Wohlfahrts- verbänden an die nichtjüdische Bevölkerung verteilt. Außerdem wurden während des Zweiten Welt-kriegs über 100.000 Kunstwerke aus jüdischen Haushalten in ganz Europa beschlagnahmt und meist-bietend versteigert.

Im November 1941 und im Juli 1943 verabschiedeten die NationalsozialistInnen schließlich die 11. und 13. Verordnung des Reichsbürgergesetzes, die das gesamte Vermögen deportierter und ermordeter Jü-dinnen*Juden dem Deutschen Reich zugeschrieben.

Nach dem Zweiten Weltkrieg regelten die Alliierten die Art und Weise der Rückgabe des Vermögens und der Gegenstände an die ehemaligen jüdischen Besitzer*innen sehr unterschiedlich. Die amerika-nischen Alliierten erließen im November 1947 ein Gesetz, das alle Rechtsgeschäfte anfechtbar machte, bei denen eine Zwangslage nicht aus- zuschließen war, und damit Rückgaben ermöglichte. Die französische und die englische Besatzungszone schloss sich dieser Vorgehensweise wenig später an. Ziel war Wiedergutmachung. Nur in der sowjetischen Besatzungszone gab es keine ähnlichen Regelungen.1

Quelle:
www.dhm.de

Zum Lesen:
Elisabeth Geldmacher: NS-Raubgut. Zum Stand der Provenienz­forschung in Sachsen. 2019
Michael Wildt: Geschichte des Nationalsozialismus. 2008